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Arm und Reich, Oben und Unten, Viel und Wenig in Unlingen vor 200 Jahren

Dörfliche Besitzverhältnisse und soziale Schichtung um 1800

Ortsansicht von 1803

Die Legende zum Bild:Ortsansicht Unlingen von der Abendseite, gemalt nach der Natur von Nikolaus Hug aus dem Jahr 1803 (Vorlage: Fürst Thurn und Taxis Zentralarchiv Regensburg)

Unlingen von der Abendseite.Ein großer an der Landstraße bei Riedlingen liegender Ort, hat eine schöne Pfarrkirche, ein Pfarrhaus und 2 Beneficiat Wohnungen, auch ein Frauenkloster von dem dritten Orden des H. Franc, welches aber in ein Kail. Königl. Instituts Haus ist verwandelt worden, wo noch mehrere in Pension gesetzte Frauen nach ihrer Regel leben. Dieser Ort zählt 165 Bürger, davon 32 Mayer und 124 Seldner, in allem 850 Seelen. Hier sind 2 Mühlen, davon eine Sr. Hochfürstl. Durchlaucht gehörig, auch eine Seegmühle. Die Gemeind besitzt 200 Jauchert Waldung.


Wer sind diese eher wohlhabenden Mayer und die meist armen Seldner?

Die dörfliche Oberschicht der eigentlichen Voll-Bauern oder Mayer definiert sich über die Hofgröße, den Umfang der Lehengüter und des Eigenbesitzes, sowie der Spannfähigkeit. Diese Bauernschicht stellt eine Minderheit im Dorf dar.

Die Mehrheit im Dorf sind die nicht zur damaligen Oberschicht gehörenden Seldner. Zu ihnen gehören alle Familien, die vom Ertrag ihrer landwirtschaftlichen Kleinbetriebe allein nicht leben können. Sie sind zwingend auf einen Zuerwerb außerhalb der eigenen Landwirtschaft angewiesen. Ein zusätzliches Einkommen erreichen die Seldner hauptsächlich durch eine Tätigkeit als Handwerker oder Taglöhner. Der Begriff Seldner bezeichnet somit Kleinbauern mit Handwerk und Kleinbauern, die zusätzlich als Taglöhner arbeiten.

Nicht alle der pauschal als Angehörige der unterbäuerlichen Schichten bezeichneten Seldner, Kleinbauern, Handwerker und Tagelöhner bezeichneten Einwohner lebten in großer Armut und Not. Es gab eine dünne Mittelschicht.
In die oberen Ränge der Seldner schaffen es diejenigen Handwerker, die ertragreiche Dienstleistungen erbringen oder wesentliche dörfliche Waren produzieren. Dazu gehören Müller, Wirte und Schmiede (Metzger?) Erstaunlicherweise gibt es in Unlingen auch gut gestellte Taglöhner.

Rund die Hälfte aller Unlinger Einwohner haben ein Vermögen, das so gering ist, dass es kaum versteuert werden kann. Sie befinden sich in wirtschaftlich sehr schwieriger Lage, aus der sie sich kaum befreien können. Sie leben bildlich von der Hand in den Mund, sind gezwungen immer wieder Schulden zu machen. Ernteausfälle durch Unwetter, Umweltkatastrophen wie im Jahr 1816 und die sich über 20 Jahre hinziehenden napoleonischen Kriegszeiten bedeuten für sie existentielle Gefahren.

Wie auch in anderen oberschwäbischen Dörfern zu Beginn des 19. Jahrhunderts, zeigt sich Unlingen als Klassengesellschaft mit einer Minderheit von gut gestellter Bauernschaft und der Mehrheit der landarmen, unterbäuerlichen Schicht.

Die Ungleichheit der dörflichen Klassengesellschaft durchzieht alle Lebensbereiche, Chancengleichheit gab es nicht. Eine Überwindung der Schichten, in die man hineingeboren wurde, gab es nur in den seltensten Ausnahmefällen. Durch das ganze Spektrum des dörflichen Lebens hindurch, von der Kindersterblichkeit, über den Schulbildung, bei der Wahl des Ehepartners, den Wohnverhältnissen bis hin zum Platz in der Kirche und der Begräbnisstelle, sind deutliche Schichtungsunterschiede zu finden.

Wer ist als arm oder reich einzustufen?

Für Armut und Reichtum gibt es verschiedene Definitionen. In der Europäischen Union gelten heute Personen als arm, die monatlich weniger als 60 Prozent des nationalen Mittelwerts verdienen. So gilt mit einem Nettoeinkommen von 781 Euro oder weniger in Deutschland eine alleinstehende Person als arm.
Nimmt man diese vereinfachte Bestimmung von Arm-Sein auf das Dorf Unlingen und seine Bürger als Richtschnur, kann man die großen Unterschiede im Dorf vor 200 Jahren anschaulich einordnen. Die folgende Darstellung ist kein wissenschaftlicher Artikel, das Ziel ist lediglich eine Beschreibung der finanziellen und gesellschaftlichen Lage im Dorf der damaligen Zeit.

Grundlage dafür ist die im Jahr 1816 umfangreiche durchgeführte Erhebung des Wertes aller Steuerobjekte. Die besteuerbaren Vermögenswerte beziehen sich auf Häuser und Gebäude, auf „liegende Gründe“ (Äcker, Wiesen, Gärten), auf Gerechtigkeiten und das ausgeübte Gewerbe.

„so wurde allgemein beschlossen, … eine spezifische Güterbeschreibung aufzunehmen, welche … als Grundlage zu allen künftigen Steuergeschäften dienen wird.
Die ganze Bürgerschaft wurde versammelt und jeder Einzelne, in Gegenwart der übrigen, zur getreuen Angabe seines Besitzstandes aufgefordert.
Dieses Verfahren erkannte man als das einzige mögliche.“


Auf der Grundlage dieser Erhebung ist für jede Haushaltung der Besitzstand dokumentiert und ermöglicht eine Einordnung zu Arm und Reich, Oben und Unten, Viel und Wenig in Unlingen. 1818 wurden dann die Steuerpflichtigen zur Kasse gebeten und mussten die neu berechneten Steuerabgaben entrichten. Die höchste Steuersumme für den damals wohlhabendsten Bauern betrug 71 Gulden 9 Kreuzer 3 Heller, die niedrigste Abgabe mit 23 Kreuzer 3 Heller entrichteten eine ledige Frau und ein Witwer.

175 Steuerpflichtige entrichteten im Durchschnitt für ihren Besitz 12 Gulden 40 Kreuzer 3 Heller. 60% davon sind 10 Gulden 24 Kreuzer. Dies entspricht Steuerbetrag von Franz Joseph Munding Chirurg, der mit seinen 10 Gulden 26 Kreuzern einen Rang von 58 einnimmt. Das heißt,117 Steuerpflichtige hatten noch weniger versteuerbaren Besitz als er. Das heißt, zwei Drittel der steuerpflichtigen Haushaltungen wären nach der heute geltenden Richtschnur als Arme einzustufen.

Besonders deutlich wird das wirtschaftliche Gefälle innerhalb der Dorfbewohner durch zusätzliche Vergleiche. Gerade mal 24 Haushaltungen erbrachten allein durch ihren Besitz die Hälfte der Steuern ein, man kann ruhig davon ausgehen, dass dieser Personenkreis die Hälfte der Vermögenswerte der Unlinger Bürger besaß. Diese 14 % oder rund ein Siebtel der Steuerpflichtigen sind:

Schönle Lorenz, Bauer, Gebäude 7, 
 oberer Kellhof, heute Kopfstraße 14
Schönle Konrad, Bauer, Gebäude 37, 
 unterer Kellhof, heute Kirchengasse 3
Hagel Martin, Müller, Gebäude 11, 
 hintere Mühle, heute Mühlgasse 26
Hermanutz Georg, Bauer, Gebäude 5a, 
 ehem. Salmansweilerhof, abgebrochen
Schmid Johann, Bauer, Gebäude 64, 
 heute Hauptstraße 29
Lok Johann, Adlerwirt, Gebäude 35, 
 heute Hauptstraße 24
Kopf Alois, Bauer, Gebäude 8, 
 Kopfstraße 12
Butscher Anton, Bauer, Gebäude 39, 
 ehem. Klosterhof, heute Kirchgasse 8
Munding Josef, Bauer, Schultheiß, 
 Gebäude 4, heute Kopfstraße 16
Störk Xaver, Müller, Gebäude 40, 
 Kernmühle, heute Kernmühle 1
Munding Baptist, Bauer, Gebäude 72, 
 heute Hexengässle 9, abgebrochen
Moosbrugger Josef, Glaser, Gebäude 83, 
 heute Kopfstraße 5
Munding Mathias, Säger, Gebäude 85, 
 heute Sägmühle 1
Lendle Georg, Bauer, Gebäude 68, 
 heute Marktstraße 8
Kraus Josef, Bauer, Gemeindeschreiber, 
 Gebäude 20, heute Mühlgasse 8
Edele Karl, Bauer, Gebäude 32, 
 heute Hauptstraße 11
Schönle Josef, Bauer, Gebäude 28, 
 heute Hauptstraße 16
Burgmayer Franz Josef, Bauer, Gebäude 33, 
 heute Hauptstraße 17
Munding Mathias, Bauer, Gebäude 67, 
 heute Marktstraße 1
Kraus Johann, Bauer, Gebäude 27, 
 heute Hirschstraße 11, wird abgebrochen
Setz Georg, Metzger, Gebäude 45, 
 heute Wagnergässle 9, abgebrochen
Schönle Johann, Petruswirt, Gebäude 2, 
 heute Kopfstraße 18
Bauknecht Xaver, Salpetersieder, Gebäude 49, 
 heute Hauptstraße 59, abgebrochen
App Johann, Bürgermeister, 
 Gebäude 49, heute Hauptstraße 57, abgebrochen

Sechs Siebtel der Einwohnerschaft teilte sich die zweite Hälfte des versteuerbaren Besitzstandes, wobei es auch innerhalb diesem Teil der Bevölkerung wieder erhebliche Unterschiede gab.

Die deutlichen Unterschiede im ökonomischen Besitzstand zogen auch eine soziale Schichtung nach sich. Es war wirklich nur für Wenige eine gute alte Zeit. Sie waren arm dran, wir sind heute trotz aller Schwierigkeiten viel besser dran.
 

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